Die
Jagd auf den Jaguar
Drama
in fünf Akten
von
D. K.
Prolog
Mein
Wunsch nach einem „besonderen Auto“ begann vermutlich schon
im Jahr 1959, als ich mit meinen Eltern auf einem Campingplatz
in Holland weilte. Ich bestaunte damals die Karossen unserer
Zeltnachbarn: rechts – ein schaukelndes Wellblechauto, der
damals bei uns noch fast unbekannte Citroën 2CV, und links –
sein großer Bruder, ein Citroën 11CV, heute auch als
Gangsterlimousine bekannt.
Jahre
später, als Student, wurde mein erstes Gefährt dann auch eine
Ente. Meine Freundin Gabi, meine heutige Frau, machte es mir
nach. Sie verbrauchte gleich 2 Stück, natürlich nacheinander.
Neben
wichtigeren Gemeinsamkeiten verband uns damals (und so auch noch
heute) der Traum vom besonderen Auto. Unsere Folgewagen wählten
wir dann auch von Mal zu Mal: schöner, schneller, größer.
Fast immer nur Cabrios.
Doch
irgendwann war Schluss, denn wie steigert man sich nach: Käfer
Cabrio, Karmann Ghia, Porsche 914, Porsche 924, Mercedes SL usw.,
ohne über einen heimlichen Goldesel im Keller zu verfügen?
Ein
schwarzes Gangsterauto kauften wir übrigens ganz spontan, so
nebenbei, vor über 40 Jahren, von einem französischen
Studenten in Mannheim, (dem französischen Freund von Gabis
Lehrer-Kollegin), der eine höhere Reparaturrechnung nicht
bezahlen konnte. Ich beglich seine Schulden und spendierte ihm
außerdem noch das nötige „Kleingeld“ für einen alten,
aber fahrtüchtigen VW-Käfer. Lang schlief unser erster
Oldtimer hinten in unserer Garage, bis ich dann den gleichen
Fehler machte wie etliche andere Oldie-Anfänger: Obwohl fahrtüchtig,
schraubte ich ihn fast völlig auseinander - denn ich
wollte ein perfektes Schmuckstück haben. Bis er dann wieder
komplettiert und neu lackiert war, vergingen allerdings einige
Jahre.
Erster
Akt (1983)
An
der Adria-Promenade war viel los. Wir schlenderten zwischen
Palmen, beobachteten die Leute und genossen die südliche
Feriensonne. Die Kinder trotteten gelangweilt hinterher. Ein
Knuff in die Seite von unserem damals 11-Jährigen riss mich aus
meiner Geruhsamkeit.
„Papa,
Papa, schau mal, was für ein toller Sportwagen!“ – „Ist
ja gut! – Wo denn?“ – „Dort drüben vor der Eisdiele!“
– „Ooaooh!“ – Tatsächlich! Ein Jaguar E,
und mitten im Halteverbot! „Kommt schnell, den schauen wir uns
mal aus der Nähe an!“
Den
letzten E-Type hatte ich 1975 gesehen. Ein entfernter Cousin
meiner Frau fuhr einen –
wenn er gerade fuhr. Und im Dorf hatte man gemunkelt, sein alter
Herr hätte heimlich einen Drehzahlbegrenzer einbauen lassen,
damit der Junior das Auto überlebt.
Im
Nu warfen wir unser Tagesprogramm über Bord und die Kinder
bekamen nun doch das Eis, das ich ihnen vor Minuten noch
abgeschlagen hatte.
Wir
saßen im Eis-Café, musterten verstohlen immer wieder ringsum
die Gäste und konnten absolut niemanden finden, der richtig zu
dem seltenen Luxus-Geschoss passen könnte. Jedes Mal, wenn
jemand zahlte und aufstand, steckten wir die Köpfe zusammen und
flüsterten: „Etwa der? – Nein, der bestimmt nicht!“
Unser
Kleiner musste mal. Vom Örtchen zurückkommend schlängelten
wir uns gerade durch die Tischgruppen, da sehe ich meine Frau
aufgeregt winken. Unser Großer steht schon am Straßenrand.
Eben wird der rote 12-Zylinder zum Leben erweckt! Ein Blubbern:
bbblubbellubbelub, –
ein Bellen, ein Quietschen – und – weg ist der Traum. –
Alle Gäste schauen ihm nach, dem Jüngling von unserem
Nachbartisch mit seiner noch jüngeren Freundin. – Einen
Augenblick ist es mäuschenstill, bis eine „Berliner
Schnauze“ in die Stille platzt: „Kiek mal an, bestimmt
Millionärsjören!! Vatern hat`s ja!“
„Fräulein!
Nochmals das Gleiche!“ – Die Kinder staunen über Vaters
Spenderlaune. Aber er will ja nur seine Ruhe haben und träumen
und reden. „Das wäre was, so ein Jaguar-E, der würde mir
auch gefallen! Ja, kann man so etwas überhaupt noch kaufen? Und
wo? Zu welchem Preis? In welchem Zustand? Ich ließe mir den Spaß
schon was kosten! Es muss ja nicht immer
ein Millionärssohn sein.“
Zweiter
Akt
Der
letzte Sommerurlaub und der E-Type sind lange vergessen. Den
grauen Alltag unterbricht ein Kurzurlaub: „Ostern in
London“. Die Briten gefallen uns, uns liegt ihre Mentalität:
Tradition und Antiquitäten, Breakfast und Pubs, Queen und Old
Castles, Subway und schwarze Taxis und viele Jaguars.
Für
den Rückflug brauche ich noch eine Reiselektüre. Schnell
erwische ich am Kiosk ein britisches Automagazin: „Classic
Cars“. Drinnen liegt eine Sonderbeilage – welche Überraschung
– „25 Jahre E-Type“. Im Nu ist das Sommererlebnis wieder
präsent. Ich verschlinge das Jubiläumsheft, während des
Fluges und tagelang danach. Bald kenne ich fast den ganzen
Inhalt auswendig. Ich lasse mir weitere Literatur schicken. Das
war ein Wink des Schicksals! Die Jaguar-Sonderbeilage
ausgerechnet in dem ersten Classic-Car-Heft meines Lebens. Es
muss wohl doch mal ein Jaguar sein.
Dritter
Akt
Der
Dollar stand bei 1,80 DM. Das verlockte zum preisgünstigen
Urlaub bei der Verwandtschaft in den USA. Alle Gastgeber kannten
unseren Spleen und hatten rührend vorgesorgt. Uns entging keine
Veranstaltung: Stock-car-racing, Oldtimer-Meeting, Car-Show,
Garage-Sale, Flee-Market, Antik-Auktion. Ein Urlaub ganz nach
unserem Geschmack. Abgesehen von den langen Fahrstrecken gefiel
es sogar unseren beiden Buben. Allerdings habe ich heute noch
den Tonfall im Ohr, von den ständigen Fragen unserer Kleinen:
„Papa, wann kommen wir denn endlich an?“
Und
dann entdeckten wir das Tollste, und zwar ganz alleine, am Tag
vor unserem Rückflug: Da gab es 2 Stunden vor Chicago ein großes
Oldtimer-Museum, in dem viele Exemplare mit einem Preisschild
versehen waren, also gekauft werden konnten. Da standen Packard,
Cord und Bugatti zu astronomischen Preisen. Es gab aber auch
Ford, Chevy und Cady aus den 50er und 60er Jahren. Daneben
Adenauer-Mercedes, 190 SL, Porsche 356 und natürlich Jaguars, für
jede Brieftasche das Passende. Da brauchte man nur zugreifen.
Ein Bentley für 25.000 $, ein Ford-T für 8.000 $,
ein Big-block-Pontiac-Convertible für nur 3000 $ und dann auch
ein Jaguar E Type S1 für 12.000 oder ein Top-E Type S3 für nur
18.000 $.
Wir
drehen fast durch mit den Jaguars und begutachten: Leder, Blech,
Verdeck, Boden, Batteriekasten, Ölfleck, Motorklang. Die
Gedanken überschlagen sich: Verhandlung, Nachlass, Scheck,
Rechnung, Bank, Transport, Container, Schiff, Zoll, Steuer,
Versicherung, Garantie, Vertrauen, Verwandtschaft, Laien. Morgen
um 17:00 Uhr Abflug vom O'Hare-Flugplatz. Ein Flug für 4
Personen lässt sich schlecht verschieben. Wir müssen schnell
entscheiden. Das Risiko wäre groß. Die folgende Nacht ist
unruhig und voller Alpträume. Am nächsten Morgen waren wir uns
einig und waren echt erleichtert: „Es muss nicht unbedingt
in diesem Jahr sein!“
Vierter
Akt
Wieder
daheim. Vier Wochen waren vergangen, doch das Feuer ist nicht
mehr zu löschen. Die Telefon-Drähte glühen. Die nächste
Telefon-Rechnung kann sich sehen lassen. Dazu kommt ein
beruflicher Erfolg. Jetzt sind wir gar nicht mehr zu bremsen.
Welch ein Aufwand, die wenigen annoncierten E’s zu
besichtigen. Dann kommt der entscheidende Tipp von einem
Jaguar-Händler aus Pforzheim: „Einen E-Type – zur Zeit,
leider nein, – aber warum fahren Sie nicht am Wochenende zum
Oldtimer-Meeting am Nürburgring? Ich habe morgen das Haus
voller Jaguaristen, Teilnehmer der 25-Jahr-Jubiläums-Sternfahrt,
auf dem Weg zum Ring. Schauen Sie sich doch dort mal um!“
Samstag:
Beim ersten Hahnenschrei fahren wir los. Der Weg lohnt sich.
Stehen da so viele Jaguars, einer neben dem anderen, aufgereiht
beim Auto-Becker-Zelt. Und gegenüber noch viel mehr. Und überall
stehen Jaguar-Besitzer beisammen – berichten von der
Sternfahrt, fachsimpeln über Kühlprobleme und Ersatzteile,
verabreden sich zum Scheunenfest in Hühnerbach. – Wir hören
zu, wir fragen und diskutieren. Alle sind nett und hilfsbereit.
Mehrere Wagen stehen zum Verkauf. Wir prüfen wieder einmal und
vergleichen. Ein blauer S1 scheint genau der Richtige zu sein.
Wir bemerken zwei weitere Interessenten. Die umstehenden
Jaguar-Experten bestätigen unser Urteil. Helmut flüstert:
„Fachmännisch restauriert!“, Mike kriecht unterm Wagen
hervor und nickt uns zu. Wir merken gar nicht, wie die Zeit
vergeht. Es dämmert bereits. Viele JAG‘s sind schon weg.
Immer wieder hört man was von Auto-Becker und Jaguar-Fest in Hühnerbach.
Plötzlich ist der Platz leer. – Wir haben Hunger. Wir
sind todmüde. Wir suchen ein Quartier. Natürlich ohne Erfolg.
Nach der 13. Absage in der Umgebung langt es uns. Wir biegen ab
zur Autobahn und rauschen in die nächste Großstadt. Um 23 Uhr
in Bonn sind wir fast die einzigen Gäste im Hotel.
Das
Hotelzimmer ist fast überflüssig, denn wir schlafen insgesamt
höchstens 3-4 Stunden. Gedanken und Diskussionen halten uns
wach. Sollen wir – oder sollen wir lieber nicht?
Den Blauen, oder doch lieber einen Preisgünstigeren? Um 8 Uhr
sind wir fast die Ersten auf dem Jaguar-Parkplatz. Und endlich
kommt unser „blauer Verkäufer“. Wir handeln noch einige
1000 DM runter und schlagen dann ganz schnell zu, damit niemand
unsere Kreise mehr stört. Das Schild „Zu verkaufen“
verschwindet. In 14 Tagen können wir den Wagen abholen.
Dann
fahren wir gleich heim, noch vor Veranstaltungsende, –
langsam – schweigend – mit
schlechtem Gewissen. Ging das nicht alles viel zu schnell? Ich
hatte ja mittlerweile viel gelesen und auch oft gehört. E-Types
werden spontan gekauft, und die meisten Käufer werden übervorteilt.
– War das zu spontan? Wurden wir angeschmiert?
Fünfter
Akt
Ein
uns noch völlig unbekannter Jaguarhändler in Hockenheim lieh
uns ohne Bedenken rote Nummernschilder zum Überführen des
Wagens. Als ich ihn später fragte, ob er sich denn mit
dem Jaguar auskenne und ob er mir eventuell die Zündung
einstellen und Spur und Sturz überprüfen könne, kam spontan
die Antwort: „Aber sicher, am „E“ kenne ich jede
Schraube!“ Und er zeigte uns in seiner Halle den
„Lightweight“, den Roger Mac gerade auf dem Nürburgring
beim Rennen gefahren hatte. Nachdem er unsere Errungenschaft
begutachtet hatte, kam so ganz von Herzen: „Den hätte ich
auch genommen: Serie 1, aber schon mit der 4,2-Liter-Maschine
– ursprüngliche Reinkultur in verbesserter Ausgabe. Exzellente Restauration!! Darf ich den Preis erfahren?
– Das war kein schlechter Kauf, wirklich!!“
Für
uns war die Welt wieder in Ordnung. Und sie blieb es bis zum
heutigen Tage.
Es
sollte halt doch wirklich ein Jaguar sein.
Epilog
Und
um auf meine frühere Frage zurückzukommen: „Wie steigert man
sich, wenn man schon einen Traumwagen besitzt?“ Mehrere
Bekannte und neue Freunde, die wir bei den folgenden
Jaguar-Treffen kennenlernen durften, gaben uns die Antwort:
„JAGUAR steigert man so: Ein
Jaguar, noch ein Jaguar, noch ein Jaguar, . .
. . . .!
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